Die Brueder Cerezo – Ein Fall von Kriminalisierung Sozialer Bewegungen und der Verletzung der Menschenrechte in Mexiko

 

Mit Regierungsantritt von Vicente Fox im Dezember 2000 hat in Mexiko die Demokratie Einzug gehalten, Menschenrechte im Allgemeinen und Rechte der Indigenas im Besonderen warden geachtet wie nie und auch politische Gefangene gibt es keine. Auf solcherleich Selbstdarstellung legt der im Sommer 2000 gewaehlte Praesident von der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) viel Wert. Mit der Abwahl der bis dato amtsaeltesten Regierungspartei der Welt, der Institutionell Revolutionaeren Partei (PRI), konnte sich Fox von Beginn an als Hoffnungstraeger in Sachen Demokratisierung inszenieren.

Sicherlich habe es nach 71 Jahren PRI-Herrschaft einen Wechsel gegeben, merkt Francisco Cerezo an, aber man duerfe eben nicht vergessen, dass es eine Veraenderung nach rechts war. Cerezo ist Paedagogik-Student an der Universidad Autonoma de Mexico (UNAM), der groessten Universitaet Lateinamerikas, und Mitglied des „Comité Cerezo“ in Mexiko-Stadt. Ihren Namen hat diese Gruppe aber nicht direkt von ihm. „Sie waren letztlich die ersten politischen Gefangenen der Regierung Fox“ sagt Cerezo ueber seine drei juengeren Brueder. Gemeinsam mit Pablo Alvaro wurden die damals 19, 22 und 24jaehrigen Studenten Alejandro, Héctor und Antonio Cerezo Contreras am 13.August 2001 mit vorgehaltenen Maschinenpistolen aus dem Bett geholt. Fuenf Tage zuvor waren an einigen Filialen der Bank Banamex in Mexiko-Stadt kleine Sprengkoerper explodiert, zu deren Zuendung sich die „Revolutionaeren Streitkraefte des Volkes“ (FARP) bekannten, eine von ungefaehr 25 gegenwaertig aktiven, linken oder in linker Tradition stehenden Guerilla-Gruppen in Mexiko. Zwar konnte den Bruedern Cerezo bis heute die FARP-Mitgliedschaft nicht nachgewiesen werden, dennoch sitzen sie seit drei Jahren im Hochsicherheitsgefaengnis „La Palma“ in Almoyola, zwei Stunden von Mexiko-Stadt entfernt, und beteuern ihre Unschuld – wenn sie gelassen werden. Obwohl neben der Beschuldigung der Sachbeschaedigung nach einer Berufung auch der Vorwurf des Terrorismus fallen gelassen werden musste, sitzen die vier politischen Gefangenen nach dem „Gesetz gegen organisierte Kriminalitaet“ im Knast. Entwickelt wurde dies vor allem zur Bekaempfung des Drogenhandels, von Entfuehrungen und eben des Terrorismus – entfuehrt haben sie definitiv niemanden und auch ueber verkaufte Drogen ist nichts bekannt. „Ein permanentes Attentat auf die Menschenrechte“ werden die Haftbedingungen in einem Aufruf zur sofortigen Freilassung der Brueder genannt, der von vielen Gruppen aus den Sozialen Bewegungen wie auch von namhaften mexikanischen Intellektuellen wie der Schauspielerin Ofelia Medina oder dem Journalisten Carlos Fazio unterschrieben wurde.

Nachdem vier von sieben Anklagepunkten aufgegeben wurden und die Strafen von dreizehneinhalb auf siebeneinhalb (bzw., im Falle Pablo Alvarez, fuenf) Jahre reduziert werden mussten, wurde vom mexikanischen Geheimdienst (CISEN) das Geruecht gestreut, schon die Eltern Cerezo seien hohe Funkionaere im „Revolutionaeren Volksherr“ (EPR) gewesen. „Offenbar vermuten sie hier ein subversives Gen“, erklaert Francisco Cerezo schmunzelnd. Ganz davon abgesehen, dass FARP und EPR nicht viel mehr gemeinsam haben, als auf der Seite der „boesen Guerillas“ zu stehen, die der regierungsoffizielle Diskurs von den „guten“ Zapatistas unterschieden wissen will – wobei das zapatistische Befreiungsheer (EZLN) und seine UnterstuetzerInnen von der PAN-Regierung alles andere als hofiert werden.

 

Alejandro, Student der Soziologie und Oekonomie, wie auch seine beiden mit inhaftierten Brueder, beide Philosophiestudenten, waren bis zu ihrer Verhaftung in Sozialen Bewegungen aktiv, die sich durchaus als Teil der im Zapatismus so oft angerufenen „Zivilgesellschaft“ verstehen. Zusammen geben sie immer noch die Zeitschrift „Revuelta“ heraus. Héctor war aktiv in der Initiative „Café Cushan“, die Kaffee aus indigenen Gemeinden verarbeitet und ohne Zwischenhandel auf den Markt bringt. „Café Cushan“ arbeitet auch mit „Smaliyel“ zusammen, jener Kaffeekooperative, die es vor einigen Monaten zu trauriger Bekanntheit gebracht hat, als einer ihrer Mitarbeiter, der studentische Aktivist Noél Pavel Gonzalez, am 23.April dieses Jahres, gefoltert und ermodert am Strassenrand der Megametropole aufgefunden wurde. „Erinnert ihr euch an die Regel Nummer eins?“, schreibt Emilia Contreras Rodriguez, die Mutter der Cerezos an ihre vier Soehne und die eine Tochter, „Ent-fernt-Euch-Nicht-von-der-Grup-pe!“ Heute habe sich die Regel geaendert, heisst es in dem Text zum ersten Jahrestag der Verhaftung weiter, sie laute nun: „Hoert nicht auf, ihr selbst zu sein!“ Nach dem, wie Gonzalez’ Fall, bis heute unaufgeklaert gebliebenen Mord an der Menschenrechtsanwaeltin Digna Ochoa im Oktober 2001 dachte Francisco daran, auszuwandern. Die bekannte Anwaeltin hatte auch seine Brueder vertreten. Vielleicht die alte und die neue erste Regel seiner Mutter beherzigend, arbeitet der Politaktivist nach wie vor an der Befreiung seiner Brueder im „Comité Cerezo DF“, einem der vier Cerezo-Komitees, die es ausserdem noch in Puebla, Guadalajara und in Montreal/Kanada gibt. Nach Morddrohungen, die nicht nur seine Eltern und er, sondern nach der Ermordung von Pavel Gonzalez viele Menschenrechts- und BasisaktivistInnen erhalten haben, wird Francisco Cerezo von den Peace Brigades International (PBI) begleitet und – sofern moeglich – beschuetzt. Dass die Gefahr dabei von Stellen ausgeht, die nicht selten mit der Regierung selbst in Verbindung stehen, ist offensichtlich. Im Gespraech ist in verschiedenen Blaettern immer wieder die ultrarechte Verbindung „El Yunque“, die an den Universitaeten ebenso ihre Mitglieder hat wie in den PAN-gefuehrten Regierungen der Bundesstaaten.

 

Waehrend sich nach Regierungsangaben keine politischen Gefangenen in mexikanischen Gefaengnissen befinden, listet die „Mexikanische Liga zur Verteidigung der Menschenrechte“ (LIMEDDH) knapp vierhundert Menschen auf, die aufgrund ihrer – linken – Ueberzeugung unter zumeist fadenscheinigen Anschuldigungen im Knast sitzen. „Wenn Du in Mexiko unter Guerilla-Verdacht verhaftet wirst“, meint Cerezo, „ – vergiss Dich!“ Und zwar nicht nur, wegen der enormen staatlichen Repression, sondern auch wegen der Gleichgueltigkeit in den Sozialen Bewegungen selbst. Gehoeren die Brueder Cerezo sicherlich noch zu den relativ gut betreuten Gefangenen in Mexiko, ist doch ein gewisser Erfolg der regierungseigenen Spaltungsmethoden in diskutable und zu bekaempfende Gruppen nicht von der Hand zu weisen. Andererseits halten aber auch viele das Gefaengnis wohl immer noch wie selbstverstaendlich fuer eine moegliche Folge des politischen Kampfes. Und daran hat der Regierungswechsel sicherlich nichts geaendert. Im Gegenteil.

 

Jens Kastner

 

Weitere Informationen auf www.nodo50.org/comitecerezo

 

 

analyse & kritik

www.akweb.de